Karl
Liebknecht (Spartakusbund)
Ausrufung der freien
sozialistischen Republik
9. November 1918
Der Tag der Revolution ist
gekommen. Wir haben den Frieden erzwungen. Der Friede ist in diesem
Augenblick geschlossen. Das Alte ist nicht mehr. Die Herrschaft der
Hohenzollern, die in diesem Schloß jahrhundertelang gewohnt haben, ist
vorüber. In dieser Stunde proklamieren wir die freie sozialistische Republik
Deutschland. Wir grüßen unsere russischen Brüder, die vor vier Tagen
schmählich davongejagt worden sind. [...]
Der Tag der Freiheit ist
angebrochen. Nie wieder wird ein Hohenzoller diesen Platz betreten. Vor 70
Jahren stand hier am selben Ort Friedrich Wilhelm IV. und mußte vor dem Zug
der auf die Barrikaden Berlins für die Sache der Freiheit Gefallenen, vor
den fünfzig, blutüberströmten Leichnamen, seine Mütze abnehmen. Ein anderer
Zug bewegt sich heute hier vorüber. Es sind die Geister der Millionen, die
für die heilige Sache des Proletariats ihr Leben gelassen haben. Mit
zerspaltenem Schädel, in Blut gebadet wanken diese Opfer der
Gewaltherrschaft vorüber, und ihnen folgen die Geister von Millionen von
Frauen und Kindern, die für die Sache des Proletariats in Kummer und Elend
verkommen sind. Und Abermillionen von Blutopfern dieses Weltkrieges ziehen
ihnen nach. Heute steht eine unübersehbare Masse begeisterter Proletarier an
demselben Ort, um der neuen Freiheit zu huldigen. Parteigenossen, ich
proklamiere die freie sozialistische Republik Deutschland, die alle Stämme
umfassen soll, in der es keine Knechte mehr geben wird, in der jeder
ehrliche Arbeiter den ehrlichen Lohn seiner Arbeit finden wird. Die
Herrschaft des Kapitalismus, der Europa in ein Leichenfeld verwandelt hat,
ist gebrochen. [...]
Wir müssen alle Kräfte anspannen,
um die Regierung der Arbeiter und Soldaten aufzubauen und eine neue
staatliche Ordnung des Proletariats zu schaffen, eine Ordnung des Friedens,
des Glücks der Freiheit unserer deutschen Brüder und unserer Brüder in der
ganzen Welt. Wir reichen ihnen die Hände und rufen sie zur Vollendung der
Weltrevolution auf.
Quelle: Die ungeliebte Republik
Philipp
Scheidemann (Sozialdemokratische Partei Deutschlands)
Bericht über den 9.
November 1918
ca. 1924
Am 9. November 1918 glich der
Reichstag schon in den Morgenstunden einem großen Heerlager. Arbeiter und
Soldaten gingen ein und aus. Viele trugen Waffen. Mit Ebert und anderen
Freunden saß ich hungrig im Speisesaal. Es gab wieder nur eine dünne
Wassersuppe. Da stürmte ein Haufen von Arbeitern und Soldaten in den Saal.
Gerade auf unseren Tisch zu. Fünfzig Menschen schrien zugleich "Scheidemann
kommen Sie mit uns. Philipp Du mußt hier raus und reden." Ich wehrte ab. Ach
wieviel hatte ich schon reden müssen. "Du mußt, Du mußt, wenn Unheil
verhütet werden soll. Draußen stehen Tausende, die verlangen daß Sie reden.
Scheidemann komm schnell, vom Schloßbalkon aus redet Liebknecht." - "Na wenn
schon." "Nein, nein kommen Sie mit, Du mußt reden." Dutzende redeten auf
mich ein, bis ich mit ihnen ging. Die große Wandelhalle zeigte ein
dramatisch bewegtes Bild. Gewehre waren wie Pyramiden zusammengestellt. Vom
Hofe herauf hörte man Pferdegetrappel und Gewieher. In der Halle schienen
Tausend gleichzeitig zu reden und zu schreien. Wir gingen eiligen Schrittes
dem Lesesaal zu. Links und rechts von mir redeten meine Begleiter auf mich
ein. Zwischen dem Schloß und dem Reichstag - so wurde versichert - bewegten
sich ungeheure Menschenmassen hin und her. "Liebknecht will die
Sowjetrepublik ausrufen." Was, nun sah ich die Situation klar vor Augen.
Deutschland eine russische Provinz? Eine Sowjetfiliale? Nein! Tausendmal
nein! Kein Zweifel, wer jetzt die Massen vom Schloß her bolschewistisch oder
vom Reichstag zum Schloß hin sozialdemokratisch in Bewegung bringt, der hat
gesiegt. Ich sah den russischen Wahnsinn vor mir, die Ablösung der
zaristischen Schreckensherrschaft durch die bolschewistische. Nein, nein!
Nur nicht auch das noch in Deutschland nach all dem anderen Elend. Schon
stand ich im Fenster. Vieltausende von Armen reckten sich um die Hüte und
Mützen zu schwenken. Dann wurde es still. ich sprach nur wenige Sätze:
"Arbeiter und Soldaten! Furchtbar
waren die vier Kriegsjahre, grauenhaft waren die Opfer, die das Volk an Gut
und Blut hat bringen müssen, der unglückselige Krieg ist zu Ende. Das Morden
ist vorbei. Die Folgen des Kriegs, Not und Elend, werden noch viele Jahre
lang auf uns lasten. Die Niederlage, die wir unter allen Umständen verhüten
wollten, ist uns nicht erspart geblieben. Unsere Verständigungsvorschläge
wurden sabotiert, wir selbst wurden verhöhnt und verleugnet. Die Feinde des
werktätigen Volkes, die wirklichen inneren Feinde, die Deutschlands
Zusammenbruch verschuldet haben, sind still und unsichtbar geworden. Das
waren die Daheimkrieger, die ihre die Eroberungsforderungen bis zum
gestrigen Tage ebenso aufrechterhielten, wie sie den verbissensten Kampf
gegen jede Reform der Verfassung und besonders des schändlichen preußischen
Wahlsystems, geführt haben. Diese Volksfeinde sind hoffentlich für immer
erledigt. Der Kaiser hat abgedankt. Er und seine Freunde sind verschwunden,
über sie alle hat das Volk auf der ganzen Linie gesiegt. Prinz Max von Baden
hat sein Reichskanzleramt dem Abgeordneten Ebert übergeben. Unser Freund
wird eine Arbeiterregierung bilden, der alle sozialistischen Parteien
angehören werden. Die neue Regierung darf nicht gestört werden, in ihrer
Arbeit für den Frieden und der Sorge um Arbeit und Brot. Arbeiter und
Soldaten, seid euch der geschichtlichen Bedeutung dieses Tages bewußt:
Unerhörtes ist geschehen. Große und unübersehbare Arbeit steht uns bevor.
Alles für das Volk. Alles durch das Volk. Nichts darf geschehen, was der
Arbeiterbewegung zur Unehre gereicht. Seid einig, treu und pflichtbewußt.
Das alte und morsche, die Monarchie ist zusammengebrochen. Es lebe das Neue.
Es lebe die deutsche Republik.
Quelle: Deutsches Rundfunkarchiv,
Frankfurt am Main